Die Erfolgsgeschichte dieses Sinfonieorchesters beginnt 2015 mit Leserkonzerten einer Tageszeitung in Mecklenburg-Vorpommern. Aus der Begeisterung bei Jung und Alt erwachsen große Ideen, wie die Konzertreihe Stadt.Land.Klassik!, die seit 2018 durch den Nordosten tourt. Die Neue Philharmonie wird gegründet; ihre Philosophie ist in gleichem Maße unorthodox und zukunftsweisend ist.
Von Sirko Salka
Die erste Saison von Stadt.Land.Klassik! endete im April 2019 in der Inselstadt Malchow mit stehenden Ovationen. Vier lange Tourneewochen, 30 berauschende Konzerte in teils ausverkauften Sälen hatte die Neue Philharmonie MV da in Städten wie Anklam, Waren, Demmin oder Eggesin voller Schwung und Spielfreude absolviert. All die Anspannung, musikalische Arbeit, penible Vorbereitung und – nicht zu vergessen – der immense Tour- und Organisationsstress lag plötzlich hinter einem 50 Frau-und-Mann-starken Orchester.
Stadt.Land.Klassik! ist ein Erfolg auf vielen Ebenen
Minutenlang lagen sich überglückliche Musikerinnen und Musiker am Ende in den Armen, mit ein paar Freudentränen in den Augen. Das Organisationsteam, bestehend aus Chefdirigent Andreas Schulz sowie Lutz Schumacher und Claudia Schneider von der Nordkurier Mediengruppe, waren keinen Deut weniger euphorisch und zeigten sich von den überwältigenden Reaktionen im Publikum begeistert und „mehr als überrascht“. Ein Erfolg auf vielen Ebenen.
Interview mit Claudia Schneider vom Nordkurier: Schon nach einer Spielzeit wurde das Projekt eine Herzensangelegenheit
In erster Linie natürlich für die rund 30.000 Menschen im Osten Mecklenburg-Vorpommerns, die seither zu bezahlbaren (da subventionierten) Ticketpreisen in ihren Heimatorten in den Genuss von anspruchsvollen wie auch populären Meisterwerken der klassischen Musik kommen konnten.
Egal, ob in Sporthallen, Schulen, Kulturhäusern, Kirchen oder Kinosälen – das Besondere am Format von Stadt.Land.Klassik! ist ja gerade, dass ein reguläres Sinfonieorchester regelmäßig über das Land zieht und jenseits des etablierten Spielbetriebs eine – nun ja – Lücke der musikalischen Grundversorgung schließt. Das nun schon seit drei Jahren, wenn auch der Spielbetrieb infolge von Corona zur Zeit unterbrochen ist.
Unkonventionell, mitreißend, ohne übertriebene Konzert-Etikette
Dank der musikalischen Reisen durch die Region kommen Einheimische niedrigschwellig in den Genuss einer Musik, die sie sonst fast nur noch in etablierten Konzerthäusern der Großstädte live erleben können. Und das wiederum erscheint manchen Menschen im Ländlichen eben ein bisschen elitär, mitunter auch verkrampft.
Die Neue Philharmonie hingegen spielt auf ihren Tourneen unkonventionell auf, mitreißend und losgelöst von übertriebener Konzert-Etikette. Abends auf den kleinen Bühnen – und tagsüber seit der ersten Tournee von „Stadt.Land.Klassik!“ – in ausgewählten Schulen.
Foto: Nadine Schuldt
Aus diesen Kinderkonzerten ist eine Idee geboren: „Jedes Schulkind soll einmal in seinem Leben in einem sinfonischen Konzert gewesen sein“, sagt Orchesterleiter Andreas Schulz, und fügt eine gute Nachricht an: „Für Schulkinder in Mecklenburg-Vorpommern wird das in den kommenden Jahren Realität“. Gefördert durch das Kultusministerium Mecklenburg-Vorpommerns zeigt die Neue Philharmonie pädagogisches Engagement. Noch 2021 soll das Projekt starten.
Auf dem Weg zum ersten dezentralen Orchester Deutschlands
Insgesamt plant die Neue Philharmonie trotz Pandemie dieses Jahr zahlreiche Konzerte, deren Fokus auf „Stadt.Land.Klassik!“ liegt. Diese von der Nordkurier Mediengruppe mitveranstaltete Musikreihe gilt inzwischen als ein bemerkenswertes Pilotprojekt. Ziel des Orchesters ist es, eines Tages bundesweit in Gegenden, in denen wie in MV kein regelmäßiger Spielbetrieb mehr realisierbar ist, eine möglichst engmaschige Konzerte-Struktur aufzubauen.
Einfach mal reinhören: Die CD der Neuen Philharmonie MV: CD zu Stadt.Land.Klassik! soll Wartezeit bis zum Wiedersehen versüßen
Auf diese Weise tritt die Neue Philharmonie eben nicht in Konkurrenz zu etablierten Traditionsorchestern, sondern ergänzt bestehende Angebote, vielleicht sogar einmal flächendeckend. Auch dafür gibt es konkrete Pläne: Da dies deutschlandweit mit einem einzigen Orchester weder sinnvoll noch kosteneffektiv ist, will man an strategisch gelegenen Standorten eigene Ensembles aufbauen. Das Ziel ist revolutionär: So wird die Neue Philharmonie zum ersten dezentral organisierten Orchester in der Bundesrepublik.
Noch ist das Zukunftsmusik – aber ihr Klang hört sich verdammt gut an. Und wenn Andreas Schulz und seine Musiker in den vergangenen Jahren eines bewiesen haben, dann, dass sie keine Herausforderung gescheut sondern bisher alle gemeistert haben. Immerhin spielt man längst auch auf großen Veranstaltungen. Zum Beispiel zum Tag der Deutschen Einheit am Brandenburger Tor, beim Jazzfestival in Burghausen oder in der Berliner Philharmonie.
Text: Sirko Salka
Im ersten Teil lesen Sie:
Mecklenburg-Vorpommern ist das Mutterland der Neuen Philharmonie